Die Halqa als Urform des Theaters

Die Halqa könnte man als eine sehr archaische Form des Theaters bezeichnen:

Eine kreisförmige, bewegliche, pulsierende ‚Architektur’ von Zuschauern, die sich um den Künstler formiert. Genauer noch würde die aus der Antike überlieferte Form des „Circus“/“Zirkus“ — bei dem der Kreis wörtlich festgehalten ist — die Halqa charakterisieren. Doch sowohl „Theater“ als auch „Zirkus“ sind genuin europäische Begriffe und Kulturformen, die keine echten Entsprechungen in der Kultur des Maghreb kennen.

   
    Zuschauer einer Halqa    
       
         
       
    Fkih Soussi - beantwortet Fragen zum Koran    
   

Die teilweise sehr alten Muster und Stoffe, die in die Geschichten eingewoben sind, vermitteln einen Einblick in die kollektive Seele des Maghreb, über Wertvorstellungen und moralische Haltungen, deren Andersartigkeit — beispielsweise in Fragen der Geschlechterrolle — ein Lehrstück über die Relativität und die historische Wandelbarkeit kultureller und ethischer Standards ist.
In Konkurrenz zu den Massenmedien


 

 
         
       
    Der “Einäugige” - Halqa der Tqitikat - traditionelle Improvisationsmusik    
   

Die Künste dieser virtuosen, wort- und gestenreichen Gaukler sind im Verschwinden begriffen. Der Platz Djemaa hat sich in den letzten fünf Jahren rapide verändert. Neben den Internet-Cafés machen sich Teestuben und Cafés breit, die mit überdimensionalen Bildschirmen ausgestattet sind, auf denen Holly- und Bollywood-Filme zum Preis eines Getränks gezeigt werden. Das Schwarzmarktgeschäft mit selbstgebrannten DVDs aus aller Welt, ist endemisch geworden.

   
         
       
    Halqa der „Ulad Sidi Hamad ua Mouss“ - Akrobaten    
   

Angesichts der blendenden Faszination, die von den elektronischen Medien ausgeht und der scheinbar mühelosen Verfügbarkeit und dem passiven Genuss globaler Spektakel, haben es die Gaukler, die Akrobaten, Tänzer, Zauberer und Geschichtenerzähler nicht leicht.

Vor allem der Geschichtenerzähler bewegt sich in einem anderen Rahmen. Er beansprucht von sich und seinen Zuhörern eine Zeit, die sich nicht raffen und verstümmeln lässt. Er entfaltet ganz eigene Tempi, wie sie seinen Erzählungen angemessen sind. Seine Kunst erfordert eine Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft von seinen Zuschauern, die denen der schnellen elektronischen Bilder diametral entgegengesetzt ist. Mit jeder Geschichte appelliert er an eine lange Reihe anspielungsreicher Gleichnisse, deren Gehalt nur begriffen werden kann, wenn man ihnen immer wieder lauscht und das Gehörte in sich wirken lässt und mit den anderen austauscht.

   
         
       
    Ahmed Buschama, Geschichtenerzähler - genannt: „Der Berber“    
   

Es gibt heute nur noch sehr wenige Geschichtenerzähler, die die ganze Kunst, das riesige Repertoire an überlieferten Stoffen beherrschen. Die meisten von ihnen befinden sich schon in fortgeschrittenem Alter und es gibt fast keinen Nachwuchs, der diese Kunst erlernen will. Grund dafür sind vor allem die schlechten Zukunftsperspektiven für diese wahren „Freiberufler“.